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Boxenhaltung – ein Fernsehbeitrag und unsere Erfahrungen dazu

Ein 3sat-Fernsehbeitrag bringt einige Aspekte sehr kurz, aber eindeutig auf den Punkt.

Die Boxenhaltung ist und bleibt für Pferde die untypischste Haltungsform, die es geben kann – sicher trifft das auch auf Elefanten, Gnus und Antilopen und viele andere Tierarten zu, aber die haben wir nunmal nicht so häufig als Lieblings-Familienanhang zu Hause – und die Folgen können dramatisch sein.

Die Statistiken, wie auch im Film erwähnt, sagen, daß ein Pferd durchaus auch mal 30 Jahre alt werden kann, manche älter und manche eben nicht-viele rassetypischen Aspekte spielen dabei eine gewisse Rolle. Die Erreichbarkeit eines so hohen Alters geschieht dabei unter Beaufsichtigung der Menschen und der gezielten Förderung von Gesundheit und Wohlbefinden.

Die Boxenhaltung schneidet im Vergleich zur Offenstallhaltung statistisch gesehen katastrophal ab, sofern man von einer gleichbleibenden medizinischen Grundversorgung ausgeht. Dies besagt, vergleiche ich ein Pferd in der Box mit einem in Offenstallhaltung lebenden Pferd, wird letzteres im Durchschnitt durchaus 15-20 Jahre älter. Soweit die Statistik der Wissenschaft – und für die Betrachtung möchte ich durchaus bei den veröffentlichten Statistiken trauen, auch wenn gefühlt der eine oder andere Grund die Statistikaussagen verfälschen kann.

Was bedeutet es, daß Pferde in Boxenhaltung eine deutlich geringere Lebenserwartung haben als Offenstall-Pferde? Die Hauptursachen sind nach meiner Meinung in zwei Kategorien einzuteilen.

Erster Grund sind echte körperliche Auswirkungen insbesondere der mangelnden und sehr ungleichmäßigen Bewegung, verbunden mit atypischer Fütterung, Futteraufnahme und Verdauung. Alle wissen, ein Pferd ist darauf ausgelegt, ca. 16 Stunden täglich in gebückt-wandernder Haltung langsam durch die Graslandschaften zu wandern und kontinuierlich das Verdauungssystem mit Futternachschub zu versorgen. Der Bewegungsapparat, die Sinneswahrnehmung und die Verdauungsorgane selbst sind perfekt darauf eingerichtet. Was passiert in der Box? Logischerweise genau das Gegenteil, das Pferd bewegt sich kaum, frisst die Masse des Futters meist aus einem hochliegenden Trog und bekommt dieses dreimal täglich. Um es genau zu betrachten, nur ganz wenige Ställe versuchen, diesen Kreislauf zu durchbrechen durch einen kürzeren oder längeren Weideauslauf. Dabei kenne ich aber keine Statistik, wieviele Stunden Weidegang pro Tag wie vielen Jahren Lebenszeitgewinn entsprechen könnten.

Der zweite Grund sind psychosoziale Auswirkungen. Wieder der Sprung in die Natur, worauf ist ein Pferd optimal ausgelegt? EInmal natürlich auf Beschäftigung, Pferde sind aufmerksame, erlebnishungrige, die Umwelt registrierende Wesen und haben darauf ausgerichtete Denk- und Verhaltensmuster. Was passiert, wenn dieses Wesen von Umwelt und Verhaltensausübung abgeschnitten ist? Pferde reagieren mit Verhaltens- und Sozialstörungen. Sie suchen sich verhaltensuntypische, meist gesundheitsschädliche Beschäftigungen, um Kopf und Sinne in Bewegung zu halten. Sie erkunden nicht die Umgebung, sondern koppen und weben, um einfach Verbindungen zwischen Denk- und Bewegungsapparat am Leben zu erhalten. Die so entwickelten Zwangsneurosen sind meiner Meinung nach mit dem Überlebensdrang eines Fluchttieres zu begründen, denn nach wie vor suggerieren die Instinkte dem Pferd, scharfe Sinne zu behalten, die bei Gefahr das Pferd schnellstmöglich in Bewegung versetzen können. Dem Sicherheitsbedürfnis eines Pferdes angepasstes Sozialverhalten, sprich das Leben in einer Gruppe, die miteinander lernt, lebt, sich schützt und unterstützt, kann eine Boxenhaltung in keinster Weise entsprechen.

Das Fazit, die Boxenhaltung widerspricht sämtlichen körperlichen und psychosozialen Notwendigkeiten für eine gesunde Lebensform – das Pferd quittiert dies „natürlich“ mit einem schnelleren Ableben, da die Lebensreserven, die ihm am Anfang mitgegeben werden, viel schneller verbraucht sind als bei einem Pferd, dass in freier Natur nicht nur weniger Ressourcen vergeudet, sondern auch noch „nachtanken“ kann.

Unsere Erfahrungen belegen dies eindrucksvoll. In unserem Bestand gibt es auch einige Pferde, die aus einer reinen Boxenhaltung kommen und bereits deutlich mehr Lebensenergie verbraucht haben als die vergleichbaren Pferde aus unserer Offenstallhaltung. Ein Pferd lebt mit den Folgen der schlechten Luft eines engen, muffigen Stalles sowie einer Verhaltensstörung, das Pferd ist dämpfig und koppt. Ein anderes Pferd hat den hohen Sportbelastungen nur bedingt standhalten können. Die schnellen Wechsel zwischen absolutem Bewegungsmangel und geforderter Höchstleistung führten zu einer schweren Arthrose in den Hinterbeinen, daher ist die Stute heute unser „Ruhestands“-Pferd. Ihre Boxenaggression konnte sie glücklicherweise bereits nach wenigen Jahren Offenstallhaltung größtenteils ablegen. Es gibt nur noch wenige Situationen, die bestimmte Erinnerungen an die Boxenzeit und Überlastung antriggern und eine negative Reaktion hervorrufen – aber es ist kein Vergleich mehr zur Boxenzeit, als man ernsthaft überlegte, ein Schild anzubringen: „Bitte nicht nähern, Pferd beißt!“ und nur ganz wenige Menschen gefahrlos die Box misten konnten, ohne der Gefahr eines Trittes ausgesetzt zu sein. Ein drittes Beispiel für die Auswirkungen der Boxenhaltung zeigten sich bei unserem Traber, der trotz entgegengesetzter Beteuerungen keinerlei herdentaugliches Verhalten mitbrachte. Vom Grundtypus ein dominanterer Charakter, traute er sich am Anfang nicht an das Heu und wurde von der Herde komplett ausgestossen – es führte überhaupt kein Weg hinein, er drohte lieber verhungern zu wollen als sich in die Herde integrieren zu wollen. Als glücklicher Umstand erwies sich der Umzug auf ein anderes Gelände, was dem Traber die Chance gab, die Herdenunsicherheit und -neuausrichtung zu nutzen, sich in der Rangordnung nach oben zu kämpfen. Heute ist er dominant an vorderster Stelle in der Herde, zeigt aber auch hier mitunter überzogenes Sozialverhalten, indem er sich aus unbekanntem Grunde plötzlich ein Pferd aussucht, welches er mit großer und überzogener Vehemenz zurechtweisen und dominieren will und sämtliche Signale der Ergebenheit und des Zurückweichens des ausgesuchten Opfers ignoriert oder verkennt. Auf Deutsch: Er kriegt sich nicht ein! Auch dieses Verhalten, welches heute zum Glück nur noch selten auftritt und sich sehr einfach durch deutliche Mehrbeschäftigung korrigieren läßt, läßt sich auf mangelnde soziale Kontakte zurückführen. Am Anfang konnten wir ihn in solchen Situationen nur für eine Weile aus der Herde nehmen, dies ist heute nicht mehr notwendig.

Die beschriebenen Verhaltensstörungen, körperliche und psychosoziale, kennen wir von unseren Offenstallpferden nicht. Sowohl die aus Offenstallhaltung gekauften als auch die eigenen Nachzuchten, mittlerweile 31, verhalten sich deutlich näher am gewünschten natürlichen Verhalten, sofern man das beurteilen kann. Schließlich sind gerade in Mitteleuropa kaum noch Wildpferde unterwegs, und wie existierenden Wildpferde auf dieser Welt wurden noch nicht so intensiv untersucht, da man ja domestizierte Pferde vor der Nase hat.

Natürlich gibt es wie immer noch einige andere Aspekte, die bezüglich der Statistiken beachtet werden sollten, da sie diese sich mitunter verzerrend auswirken könnten. Im allgemeinen Verständnis gilt nach wie vor die Boxenhaltung als elitär, sauber und schön, woher auch immer dieses Veständnis herührt. Wer etwas auf sich hält und darstellen will – auch finanziell – stellt sein Pferd sehr oft in die Box, da ist es sauber, es wird sich gekümmert, das Futter kann nie zu teuer sein, die teure Ausrüstung kommt in sauberen Ställen und bei sauberen Pferden nicht zu schaden – man kann also immer damit prahlen. Außerdem wirkt für viele ein gesunder Heubauch deutlich unschöner als eine krankhaft angefressene Schlankheit bei „schönen“ Dressur- und Springpferden. Hier liegt noch vieles im Argen – umgedreht bedeutet es aber sehr oft auch, dass die Pferde medizinisch mehr versorgt werden, jede OP bezahlt werden kann und bezahlt wird – Pferde können mit Geld länger am Leben bleiben. Ein anderer Aspekt, der sehr oft zu Boxenhaltung führt, ist die Tatsache der Enge, gerade in den Ballungsräumen der Großstädte – es gäbe nie und nimmer ausreichende Flächen, um alle Boxenpferde artgerecht in Offenställen unterzubringen. Boxen sind sicher teuer, Ländereien in Großstadtnähe aber keineswegs billiger.

Ein nachteiliger Aspekt für die Lebenserwartung bei Pferden in Offenstallhaltung ergibt sich aus einem ganz anderen Zusammenhang. Den vielen, sehr guten und ambitioniert (und teuer) geführten Offenställen steht eine nicht geringe Zahl von armseligen Haltungen gegenüber. Dies resultiert daraus, daß eine Offenstallhaltung im Minimum der Anforderungen eine preiswerte Alternative sein kann und somit für viele finanzschwache Menschen die einzige Alternative zum Pferdebesitz ist. Leider geht dies oft damit einher, daß sich das Geldsparen in Versorgung und Fütterung, bei Ausbildung und medizinischer Betreuung fortsetzt. Dabei steht nicht die Offenstallhaltung selbst am Pranger, sondern die Unverantwortlichkeit von Pferdehaltern, der leider auch viele Pferde in Offenstallhaltung vorzeitig zum Opfer fallen.

Obwohl die Offenstallhaltung nachweislich die pferdegerechtere Haltungsform darstellt, gibt es noch viele Probleme zu lösen, bis vielleicht alle Pferde etwas davon haben.

Zuerst ist es eine Sache der Einstellung bei den Pferdehaltern: Pferdehaltung bedeutet Respekt und Achtung vor dem Tier und keine Selbstdarstellung oder Ersatz des eigenen Egos. Breite Schichten des Pferdewesens müssen näher zusammenrücken.

Die künstlichen Diskrepanzen zwischen Leistungssport- und Freizeitreiterei, zwischen Englischer, Western und allen anderen „Reitweisen“ sowie zwischen armen und reichen Pferdehaltern dürfen sich nicht über das Wohlbefinden des Pferdes ausstreiten.

Die althergebrachten politischen Richtlinien zwischen städtischer (gewerblicher) und landwirtschaftlicher Pferdehaltung müssen zwingend angepasst werden. Wir kennen selbst die schier unlösbare Konstellation, die einem normalverdienenden, nichtbäuerlichem Pferdehaltungsbetrieb entgegensteht, eine artgerechte Pferdehaltung in einem  wirtschaftlich lukrativen Einzugsgebiet zu betreiben. Die Vorschriften in Deutschland sind so eng gestrickt, daß im Ernstfall mindestens eines von 7 involvierten Ämtern immer „Nein“ sagen kann.

Mein Eindruck ist, daß gerade in Berlin die Pferdehaltung mit dem Bau des Berliner Flughafens vergleichbar ist: („Alle wollen so schnell und nah wie möglich abfliegen, aber keiner will den Flughafen“) – Alle wollen in unmittelbarer Nähe möglichst günstig und immer reiten, aber Pferde in der Nachbarschaft stören ungemein! Dies macht eine Offenstallhaltung sehr schwer, die baurechtlichen und gemeindesatzungsrechtlichen Bestimmungen lassen kaum Raum, während die gewerblichen Boxenställe „lediglich“ den viel weicheren veterinäramtsrechtlichen Bestimmungen folgen müssen – in der politischen Realität hat ein Bauamt deutlich mehr Macht als ein Veterinäramt. Wäre das umgekehrt, könnten sicher viel mehr verantwortlich geführte Offenställe überleben und den Pferden Gutes tun.

Quintessenz: Wem nützen die bewiesenen wissenschaftlichen Tatsachen in der praktischen Realität?

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